Freitag, 15. März 2013

König Johann in der Schule

Vorwort


Das Gedicht fiel mir beim Korrigieren (ja, ich habe erst 64 von 400 Seiten fertig korrigiert, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen) der weiteren Seiten des Buches »Bunte Bilder aus dem Sachsenlande« (Bd. I, 1902, Neunte Auflage, S.63/64) in die Hände. Man stelle sich heute mal vor, daß der Ministerpräsident noch so handeln würde (bzw. dürfte). :)

König Johann in der Schule


War einſt ein Herr in Sachſenland,
Schier einem jeden Kind bekannt,
Der ging aus ſeiner Väter Schloß,
Zu ſehen, was wohl klein und groß
In ſeinen Schulen Rechtes trieb;
Und weil er hatt’ die Kindlein lieb,
Trat oft er zu der Schülerſchar,
Bot ſeinen Fürſtengruß ihr dar
Und ließ ſich zeigen dann geſchwind
Geſchriebenes von jedem Kind,
Ließ leſen aus dem Fibelbuch,
Aufſagen manchen guten Spruch
Und forſchte, ob in Glaubenstreu
Sein Volk auch recht erzogen ſei,
Und ob ſelbſt in dem ärmſten Kind
Des Wifſens Elemente ſind.

Sagt an, wer war der Herrſcher mild,
Der da erſchien im Schulgefild’?
Verkündet ſei es jedermann:
Das war der weiſe Fürſt Johann!

Einſt wandert er in Geiſtesruh
Dem Schulhaus eines Dorfes zu.
Ins Zimmer trat er grüßend ein.
Die Kinder waren ganz allein.
Derweil der Lehrer nicht zur Stell’,
Beginnt den Unterricht er ſchnell.
Und während er noch fragt und lehrt,
Der Lehrer iſt zurückgekehrt.

„Verzeihung, Ew. Majeſtät!
Gar übel es der Gattin geht
Die ſchwer erkrankt, – – doch hat die Nacht
Auch große Freude mir gebracht.
 Ein Söhnlein ward geboren mir.
Ich mußt’ es ſehn, war drum nicht hier.“
Der Fürſt reicht lächelnd ihm die Hand
„Geht auf mein Schloß. Holt unverwandt
Den Leibarzt Euch. Ich bleibe da!“
Der Herrſcher Helferdienſt verſah
Dann ſchlug er auf das Klaſſenbuch
Und ſchrieb mit einem kräft’gen Zug:
„Laßt dieſen Fünfzigthalerſchein
Zum Tauffeſt Euch willkommen ſein!“ *) G. Freytag

*) Die Begebenheit ſoll ſich zugetragen haben in einem Dorfe bei Jahnishauſen,
in der Nähe der Stadt Rieſa. Das Schloß Jahnishauſen war ſeinerzeit im Beſitze des Königs Johann; heute iſt es Eigentum des Prinzen Max.